Freitag, 3. Juni 2011

I.10 - Frühling aus tausend Trieben

Die wahren Künstler sind nicht die Schriftsteller, sondern die Verlagsmanager! Sie wählen ein Buch unter Tausenden aus, schneiden es serienreif, schleifen es für den globalen Vertrieb glatt, erweitern seine Verwertbarkeit zum Film, Hörbuch, Werbeträger, Modelabel, Online- und Offlinespiel, zum Schulheftcover und Schlüsselanhänger.  Was für ein banaler, eindimensionaler Vorgang dagegen das Schreiben von Bücher ist!

Die Zusammenarbeit mit diesen Künstlern verlangt den Schriftstellern einiges ab. Er konzentriere sich  bitte auf das Genre, auf die Schublade, auf das Kästchen, in dem genau für ihn ein Platz gelassen wurde. Er stelle sich einen Süßigkeitenautomaten vor, wo alles seine gekühlte Ordnung hat. Er verfalle nicht dem Wahn, sich für unentbehrlich zu halten. Die ersten 100 Seiten - sagen wir 43 Seiten - waren nicht schlecht, nun aber überlasse er das Schreiben dem Team, den Serienprofis. Er achte darauf, dass er nicht zu sehr dem Alkohol zuspreche, denn sein Gesicht wird gebraucht: für die Buchmesse, die Fernsehtalks, die Lesungen in Buchhandlungen und Autohäusern, für Kulturbeilagen und Promiblätter.

Wir Selfpublisher werden kaum jemals einen solchen Magier des Buchvertriebs zu Gesicht bekommen. Das hat Konsequenzen für unser Schreiben.

In den Schubladen der Buchgenres toben sich bereits die erfolgreichsten der Indie-Schriftsteller aus. Sie stecken die Kästchen um oder beseitigen sie ganz. Nach Neuerung steht ihnen nicht der Sinn, wohl aber nach Unordnung. Oft nehmen sie einen Schriftsteller als Vorbild und schreiben nach 100 Seiten - sagen wir 43 Seiten - ihren eigenen Stil, ihre eigene Sache. Es fällt ihnen nicht schwer, authentischer zu wirken als ein Schreibprofi, der vor der Buchserie Politikerreden schrieb oder Rat gab in der 'Apotheker-Rundschau'.

Die Grenzen zwischen den Schubladen werden verschwinden. Die Genremischung wird ein Wesenszug des Selfpublishing. Mit der gewonnenen Freiheit werden schnell Misch- und Neugenres entstehen. Ein Schreibprofi, der punktgenau auf die Tränendrüse der 45-jährigen euroamerikanischen Akademikerin drückt, ist ein Techniker, kein Pionier. Die Selfpublisher werden schnell das Genre wechseln können, was dazu führt, dass sie auf Entdeckerreise gehen können, bis sie ihr eigenes Ding gefunden haben. Dort angekommen und heimisch geworden, können sie es mit jedem angemieteten Schreibteam aufnehmen.

Neben den Mars-Snickers-Kühlautomaten der Verlage werden plötzlich - Seite an Seite - die windschiefen, naiv-fröhlichen Stände der Selfpublisher stehen. Der Global Player trifft auf den Erzeuger vor Ort.