Dienstag, 11. Oktober 2011

Die Piratenpartei: Netzparty oder Klassenkampf?

Drei Tage später ein zweiter Piratenstammtisch. Diesmal im Duisburger Nordern. Ich komme früh. Wir sehen uns an: Wird unser Tisch für acht überhaupt voll? Zu viert sitzen wir und warten. Es kommen immer mehr mit: "Hallo, seid ihr die Piraten?" Erst wird ein Tisch herangerückt, dann ein zweiter. Schließlich kommt der Ansturm. Die Wirtin gibt auf. Jeder Tisch ist von Besuchern unseres Stammtisches besetzt. Mindestens 50 Personen sind gekommen. Die drei Stammtrinker ziehen ins Nachbarlokal.

Mein Stammtisch drei Tage davor war nicht weit entfernt vom Schülerstammtisch. Dieser hier offenbart eine völlig andere Zusammensetzung. Die meisten der Besucher sind um die 60 Jahre alt. Offen wir darüber gesprochen, was sie erwarten: Diskussionen, Positionen, Protest gegen alles oder jedenfalls das meiste. Deutlich wird auch, dass viele der Besucher die Parteien nicht nur vom Fernsehschirm her, sondern auch von innen kennen.

Hier trifft ein Lebensgefühl auf sein Gegenteil. Für die jungen Piraten, die oft moderne Ausbildungs- und Studiengänge belegen, gibt es wenig Grund, unfroh in die Zukunft zu blicken. Ihr Lebensmedium prägt die Wirklichkeit von uns allen. Dagegen die Älteren. Noch nie hat es in Deutschland eine Generation gegeben, die so hoffnungslos vom Wissensfortschritt abgehängt wurde. Verbittert von ihrer Lebenswirklichkeit und linkisch treffen sie auf die Netzvirtuosen der Piratenpartei.

Wir sprechen darüber, dass die Piratenpartei völlig transparent ist. Jeder kann auf jeder Ebene mitreden. Wir sprechen darüber, dass die Piratenpartei im Aufbau ist. In Duisburg waren vor 2 Wochen nur zwei Piraten aktiv. Die Neuankömmlinge bekommen glänzende Augen. Lässt sich diese in Umfragen so erfolgreiche Partei zumindest kommunal so einfach unterwandern? Die Piraten sind jung und politisch unerfahren. Schon bewegen sich die Kaumuskeln derer, die jahrelang in anderen Parteien auf Granit gebissen haben.

In dieser verrauchten Hafenkneipe vergessen die Kampflustigen, dass die Piraten hier nur zu Besuch sind. Ihr Zuhause ist das Internet. Das hat Konsequenzen. Im Internet spielt das Format eine größere Rolle als der Inhalt. Die großen Neuerungen wie Youtube, die Boardstruktur, die Blogs, Facebook und Twitter sind neue Speicherformate. Diese haben das Internet verändert und nicht die Inhalte. Wichtiger als das Getränk ist allemal das Gefäß. Die Piraten sind so offen für alles, dass sie keinerlei Angriffsfläche bieten.

Daraus ergibt sich ein völlig anderes Politikverständnis. Politik ist für sie nicht nur gläsern, sondern auch ergebnisoffen. Am Ende muss eine Zweidrittelmehrheit stehen. Allein daraus ergibt sich, dass die gefassten Beschlüsse vernünftig und umsetzbar sind. Davor kann jeder reden und schreiben, soviel er will. Speicherplatz ist nicht nur geduldig, sondern auch gleichgültig in seiner Endlosigkeit. Die Piraten speichern Politik, sie leben sie nicht.

Es wird ein Heidenspaß sein, zu beobachten, wie der Trotzkist, der Sepraratist und der Weltverschörungsbeschwörer schockiert feststellen muss, dass sie sich nicht auf Granit, sondern auf Wasser beißen.