Montag, 10. Oktober 2011

Die Piratenpartei im Selbstversuch

Wie findet ihr einen Piratenstammtisch in einer Gaststätte voller politischer Stammtische? Wenn nichts beflaggt ist, entscheidet euch für den Stammtisch, der am ehesten als Schülerstammtisch durchgeht. Dort seid ihr richtig. Die meisten Piraten sind sehr jung. Gerade so alt, dass der Wirt sich sicher fühlt, ihnen Bier ausschenken zu dürfen. Selbst in einer Studentenkneipe senken die Piraten den Altersdurchschnitt um einige Jahre.

Da sind sie also. Ich stelle mich kurz vor, dann in der Reihe rundum die anderen. Die Hälfte kannte sich, die andere Hälfte ist neu. Ein Drittel der zwölf Anwesenden sind Besucher. Studenten, Lehrlinge, Berufstätige, alles gemischt. Alle im Internet zuhause. Eine junge Frau ist darunter, eher intelligent als blond. Sicherlich wäre es ihr lieber, wenn sie nicht allein hier wäre, aber die jungen Männer jedenfalls sind alle keine anabolische Aufreißertypen.

Eigentlich erklärt sich leicht, warum die Piraten einen geringen Frauenanteil haben. Internet war und ist unter der Oberfläche von Facebook und Twitter männlich geblieben. Die Struktur der Piraten ähnelt darin klar dem Studiengang Informatik. Die User der verschiedenen Boards und Torrents für Filme, Musik und Spiele sind männlich. Soll nicht heißen, dass die Piraten die Partei der illegalen Downloader ist, natürlich nicht.

Die Gespräche drehen sich um Organisatorisches. Wenn kein Ansprechpartner vor Ort ist, muss erst eine Crew als kleinste Einheit gegründet werden. Ein Pressesprecher wird bestimmt. An nicht wenigen Stammtischen, die eine Presseerklärung rausgeben, sitzen am Ende mehr Pressevertreter als Piraten. Das Interesse ist nun einmal enorm, weil die Piraten unbekannt und als Gesicht der jungen Generation interessanter sind als ein Rentnerstammtisch der SPD.

Wir bekommen Besuch vom Landesvorstand. So kräftig ist der Anstieg der Mitgliederzahlen, dass dringend in jeder Stadt eine Crew als Kontakt und Sprachrohr gegründet werden muss. Der Stammtischgründer der Nachbarstadt erzählt, dass der vorletzte Stammtisch mit drei Leuten, der Stammtisch danach nur mit ihm besetzt war. Als er in der letzten Woche seine Gaststätte aufsuchte, lief er an einem Tisch mit 30 Neupiraten und Interessenten vorbei, weil er annahm, der Wirt habe Tische getauscht.

Die Stimmung wird lockerer. Eine Welle der Euphorie erfasst auch die Abstinenzler. Zu keiner Zeit und bei keinem Pegelstand wird politisch diskutiert. Die Piraten sind in ihrer Zusammensetzung eine ausweglos unideologische Partei. Wer Multitasking für ein Menschenrecht hält, dem sind erbitterte politische Diskussionen wesensfremd. Die Piraten sind sich Freunde, keine Kampfgefährten. Es wird viel getrunken, ohne dass Lieder und Parolen sich unterhaken müssen.