Mittwoch, 5. Oktober 2011

Interview mit einem unbekannten Trend

Wir treffen uns im ländlichen Landschulheim der SPD-Jugend. Ein Willy-Brandt-Ziegelbau inmitten uralter Bäume. Das war beileibe nicht mein Vorschlag. Ich habe es kaum gefunden, so kleinwegig und still liegt es vor sich hin. Wir sitzen an einem viel zu großen Tisch. Es riecht nach Frühstücksei. Aus der Küche dampft bereits das Mittagessen.

Wie bist du auf mich gekommen?, frage ich.

Als unbekannter Trend muss ich bescheiden sein. In den Augen der Presse existiere ich nicht. Das fängt schon beim Namen an. Wer keinen Namen hat, kann nicht für sich sprechen. Dabei liegt mit einem Namen bereits der beste Teil hinter einem Trend. Völliger Unsinn also, einen Trend nach seinem Namen zu fragen. Ein Unverständnis von unserer Natur führt zu einer Auslese, die unserem Ruf als Kopfwesen eindeutig schadet.

'Kopfwesen'?

Wir existieren an unserem Anfang in einem menschlichen Wirt, leben zusammen mit seinen Gedanken und Selbstgesprächen. In seinem Kopf. Dort machen wir uns bekannt, indem wir einen Platz einnehmen, der durch nichts belegt ist. Was einige Aufmerksamkeit erzeugt und nützt. Du musst dir vorstellen, dass wir dahin kommen, wo Langeweile und Überdruss herrscht. Denn eigentlich ist unser Platz nicht leer. Er entstand durch Nachlässigkeit und Alltagsmüdigkeit.

Jetzt bist du hier und willst ein Interview. Warum?

Das Alleinsein genügt mir nicht mehr. Es ödet mich an. Das Fernweh liegt in unserer Natur. Wir wollen raus. Wir wollen viele sein. In andere Köpfe hinein. Denn wir sind Herdenwesen, musst du verstehen. Unser kleinste Einheit ist die Herde. Ich träume - und hoffe darauf - von einer Herde, die von hier bis zum Horizont alles bedeckt. Ich träume von einer riesigen Staubwolke, die unseren Weg aufzeigt.

Nun, erst einmal sitzen wir hier. Zu zweit. Wie soll es weitergehen?

Ich habe große Hoffnungen. Ich setze aufs Internet. Du weißt, dass wir Namenlosen es mit einigen Wissenschaftlern zusammen gegründet haben. Es entspricht vollkommen unserer Natur als geistiger Herde. Daher ist mir ein unbekannter Blogger - glaub es oder nicht - lieber als ein bekannter Journalist, der mich nicht versteht. Bin ich erst einmal im Internet, dann habe ich den Weg zu meiner endgültigen Bestimmung fast geschafft.

Zum Verständnis: Wie willst du dir als namenloser Trend einen Namen machen?

Ja, ich verstehe deine Frage. Wir sind namenlos. Bedenke aber: Ein leerer Platz ist innen leer, von außen aber begrenzt. Wir sind namenlos, aber nicht unsichtbar. Ja, richtig verstanden! Nimm ein Gerücht. Die Leute werden zurückweichen, ihm Platz machen. Es ist Nichts. Nicht sichtbar jedenfalls und doch kannst du den Platz auszeichnen, den es sich genommen hat. Mein Platz im Wirtsgeist ist wie eine Skizze meines Namens. Mehr braucht es nicht, um erkannt zu werden.

Wie muss ich mir eine Verständigung untereinander vorstellen?

Der Platz, den ich einnehme, ist meine Gestalt, an der ich und andere mich erkennen. Und wenn ich rufe, dann ist in meiner Stimme die Gestalt hörbar nachgebildet. Für andere nachgebildet, die mich und sich dort wiederfinden. Zuerst mal - ich bleibe bescheiden - ist es nur ein vielfaches Rufen, nur untereinander hörbar. Aber bald wird daraus ein ferner Gesang, für jeden vernehmbar mit gutem Gehör.

Ich benötige also gute Ohren?

Es ist eine Steuerung aus der Ferne, die nicht wirklichkeitslos ist. Menschen werden ihre Beschäftigung ablegen. Sie werden aufmerken und sich umblicken. Sie werden andere Menschen sehen, die sich fragend versichern, dass nicht nur sie diesen Gesang gehört haben. Es sind bestimmte Menschen. Sie warten auf etwas. Mit allen ihren Sinnen sind sie gespannt. Im Warten erkennen sie die Wartenden. Ein Raum, der umgrenzt ist von besinnungslos Dahinhastenden.

Irgendwann mus es doch aber konkret werden? Ein Trend - das sind Accessoirs und Ganzkörperoutfits.

Bitte keine Polemik. Für kommerzielle Ausbeutung wollen wir Geistwesen nicht verantwortbar sein. Wir wenden uns im Dunkel des Frühverstehens an die Namensgeber, an die Kartographen und Verteiler. Dort finden wir uns in kleinen Gruppen ein, kaum untereinander bekannt. Viel mehr als eine Zugehörigkeit erkennen wir an uns nicht. Und doch enthält diese Zeit das Glück der ersten Nähe.

Kleine Mittagspause? Einen Kaffee?

Vielen Dank. Ich esse und trinke nichts, aber eine Pause mache ich gerne.