Sonntag, 2. Oktober 2011

Die Piratenpartei: Kellerkinder und Pfadfinder

"Fritz, wer war der erste Mensch?" - "Stalin, Herr Lehrer!" - "Nein, so war das nicht gemeint. Der erste Mensch war Adam." - "Jaaa", sagt Fritz erstaunt, "wenn Sie die Kapitalisten mitrechnen!"

Sind die Piraten überhaupt eine linke Partei?, fragt der GrünLinksAlternative Ströbele.

Es ist heute vergessen, aber die Grünen haben heftigste ideologische Auseinandersetzungen hinter sich, ehe aus wilden Maoisten und Trotzkisten vorübergehend sonnenblumige Massenprotestler und später ergraute Staatsträger wurden. Wenn auch die Grünen keine linke Partei sind, so sind sie in jedem Fall eine ideologische Partei. Jeder Name eines Prominenten steht wie eine Prüpfplakette für eine bestimmte Art von Überzeugung, die den Teil eines größeren Gedankengebäudes beziehen durfte.

Kann sein, dass die Grünen eine besonders ideologische Partei - darin den linken Kaderparteien immer noch ähnlich - aber auch die anderen Parteien teilen jeweilige Grundüberzeugungen. Mag sein, dass es dem ein oder andere Bierwagenschieber an Ausdifferenzierung fehlt, die Führer der Parteien wissen jedenfalls genau, welchen Überzeugungen sie verpflichtet sind und teilen diese in Grundzügen sicherlich auch.

Die Piraten aber sind eine Partei völlig anderen Typs. Seht euch die politischen Diskussionen an. Sie werden mit mehr als auffälliger Nachlässigkeit geführt. Bei den Piraten gibt es eine Spaßfraktion und eine Egalfraktion. Jeder Versuch, eine ideologische Diskussion zu eröffnen, scheitert daran, dass den angesprochenen Piraten der Zugang zum Homo Politicus fehlt. Sie stehen vor politischen Alpha- und Beta-Tieren wie Zoobesucher vor den Käfigen.

Nehmen wir die Atomkraft. Klar sind alle Piraten gegen Atomkraft. Sie sind aber noch mehr gegen Stromausfall. Das ist eine völlig unideologische Herangehensweise. Überzeugung kommt von Bezeugen, vom Glaubensbekenntnis. Die Piraten taugen nicht als Fahnenträger, Messdiener oder Pfadfinder. Sie sind Kellerkinder. Niemand, mit dem sie Umgang pflegten, ließ sich durch Worte vom Handeln abbringen: Trolle und Elfen nicht, Terroristen und Wehrmachtssoldaten schon garnicht.

Während sich die Ideologen nächtelang die Köpfe heiß und die Münder fransig reden, richten die Piraten mal eben einen Thread an. Allein dessen Form zeigt schon die Haltung der Piraten. Er ist strukturell darauf angelegt, sich im Unendlichen zu verlieren. Die Software setzt einen Anfangspunkt und und alle winken in die Ferne. Wer nach 194 Seiten Thread noch die Kraft für einen Beitrag findet, dem soll sich nichts in den Weg stellen.

Nichts müssen Ideologen so sehr fürchten wie eine Wirklichkeit, die sich gründlich verändert. Der FDP kommt im Augenblick die Martwirtschaft abhanden, genauso wie der Linken die DDR fehlt. Der CDU entschwindet die Kirche. Die SPD sucht händeringend Arbeiter. Die Grünen kämpfen nach 20 Jahren Umwelt- und Quotenpolitik gegen die politische Amnesie. Furchtlos dagegen die Piraten. Sie machen für die Wirklichkeit einen Thread auf und wenden sich wichtigeren Beschäftigungen zu.