Freitag, 30. September 2011

Gyrdir Eliasson: Ein Eichhörnchen auf Wanderschaft

"Ich lasse die Augen über diese abgelegene Welt aus vier Wänden schweifen, die man mit einem Schlüssel isolieren und in hellen Farben streichen kann. Die Welt kann man immer verändern."

Sigmar, etwa achtjähriger isländischer Junge wacht auf. Ein leerer Sonntag, der eine ebenso leere Woche anführen wird. Also nimmt die Langeweile die Phantasie bei der Hand. Ein großer Hof. Ein Bauerncafe. Die Eltern, Björg und August, bemerken ihn nur auf Zuruf. Ein Tag, wie geschaffen, um sich im Unsinn der Dinge zu verlieren. Also stöbert er und lässt sich die Woche entlang treiben, um "nach Dingen zu suchen". Ein blutiger Zahnarztbesuch kann nicht der Höhepunkt der Woche gewesen sein. Ein Lausbub auf der Suche nach zukünftigen und früheren Streichen. Schließlich auf ein Blatt Papier gezeichnet verwandelt sich Sigmar in ein Eichhörnchen.

Und macht sich als Eichhörnchen auf die Wanderschaft. Mit nicht viel mehr auf dem Rücken als einen Weidenkorb, darin ein paar Kleiderbügeln und eine Leselampe. Ein Eichhörnchen, das ein kleiner Junge ist, trifft wohl die menschlichstene Tiere. Es findet einen Freund, einen Auto fahrenden Bernhardinerhund, hilfsbereit und weitgereist. Ein Braunbär, ein Fuchs, ein Apotheker begegnen ihm mal feindlich, mal freundlich. Alles erinnert das Eichhörnchen ein wenig an die Dinge, die auch Sigmar kennt, aber nur gerade so wenig, dass sie ihm noch genügend Angst einflößen können.

Jede Reise führt auch ein Eichhörnchen schließlich dahin zurück, wo ein Junge wohnt, der Sigmar heißt. Es nimmt also den Weidenkorb auf den Rücken. Es packt die Dinge ein, die reisenötig sind: die Kleiderbügel, die Leselampe. Und macht sich auf den Rückweg, dahin, wo alles angefangen hat, auf einem Blatt Papier.

"Es schlief einen unruhigen Schlaf, ausgestattet mit hinkenden Affen, Schädeln, innen von Kerzen beleuchtet."

Einfach ist die Sprache dieses 1987 erschienen und für die Buchmesse neu übersetzten und modern illustrierten Buches. Die Sprache ist die eines Kinderbuches. Und doch ist es kein Kinderbuch. Viel zu beziehungsreich ist sein Aufbau. Kurze Sätze mit zuschnappenden Bildern aneinandergereiht, ergeben ein komplexes Bild von Eindrücken. "Viele Nächte rasten steuerlos durch Sein und Bewusstsein des Eichhörnchens. Ein Tag mit dunklen Brauen hob an." Die Kapitel bestehen aus kurzen Abschnitten: ein paar kurze Sätze, die kleinen titellosen Gedichten gleichen.

Die Welt eines kleinen Jungen soll als literarisches Buch genügen. Eine Zahnärztin im wirklichen Leben ist so unheimlich wie ein geträumter Gestiefelter Kater. Wo ist der Unterschied? Einem Lyriker und einem Kind zeigen sich die Nähte nicht. Das Buch ist heiter, verlässt nie die Sicht- und später Traumweise des Jungen. Es ist ein Buch aufgebaut wie ein Fugenthema, das ganz einfach beginnt, sich verzweigt, verwandelt, transparent überlagert, um an seinen Ausgang in die Einfachheit zurückzufinden.

Eine echte *****-Empfehlung von mir




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