Dienstag, 4. Oktober 2011

Die Piratenpartei - Ideologe trifft Technik

Wenn ein Vorstandmitglied der Piraten 2 Stunden eine Einführung für neue Mitglieder gibt, dann kann es sein, dass er 1:59 Minuten über Channels spricht, um dann 1 Minute zu bedauern, dass die Programmatik - er schwenkt lässig ein dünnes Heftchen - zu kurz gekommen ist. Der Stolz der Piraten sind klar die verschiedenen Kanäle, in denen ein Mitglied jederzeit jedem seine Meinung kund tun kann. Das geht vom Livechat zu Mailinglisten, Themengruppen, Spontanumfragen und Padarbeit. Das Ganze heißt Wiki und klingt völlig harmlos.

Eine offenen Partei öffnet sich allen möglichen umhervagabundierenden Weltdeutern, sobald sie im öffentlichen Interesse wahrnehmbar ist. Eine Partei, der plötzlich aus dem Umfragenichts die 5%-Marke überspringt, wird wie ein großes Wasserloch in der Wüste die Sinnsucher, die Einsamen, die Asketen und Entrückten anziehen. Das Social Internet hat auch dergestalt etwas geändert, dass sich die drei Befürworter von geschlechtsspezifischer Mülltrennung im Stundenrythmus treffen und absprechen.

Für eine offene Partei gibt also zwei Möglichkeiten zu überleben. Sie kann streng über den Zugang neuer Mitglieder wachen. Das ist der traditionelle Ansatz. Genau diese Barrieren haben die Ideenstreiter erwartet und werden sie stürmen und - in diesen Dingen kampferfahren - auch nehmen. Zwei Neumitglieder können ohne weiteres 100 Altmitglieder ausbremsen. Erste Bedingung: Sie sprechen eine kluge Strategie ab. Zweite Bedingung: Die anderen wissen nicht, dass sie sich kennen.

Einen anderen Weg gehen die Piraten. Die Führunsgebene der Piraten ist - nach eigener Anschaung - um die 30 Jahre jung, männlich, intelligent und sehr interneterfahren. Die Leute wissen, wie man mit Trolls umgeht. Eine Möglichkeit, ist den Troll zu ignorieren. 'Don't feed the Trolls' heißt es. Eine andere Möglichkeit ist es, einem Wirrbeitrag jede Menge Extrembeiträge an die Seite zu stellen. Der Troll wird ausgetrollt. Für letzteres haben sich die Piraten entschieden.

Meist ist der Weltverbesserer über 50 Jahre alt, männlich, beredt und wenig interneterfahren. Bei der Piratenpartei findet er für seine Ideen und Reden eine offene Bühne vor. Glücklich wird er sich betreten, um dann - wenn er einmal aus seiner Rolle heraustritt - festzustellen, dass dies Bühne nur für ihn geschaffen wurde. Sie gehört ihm als Regisseur, Schauspieler und Zuschauer gleichermaßen. Niemand sonst ist da. Virtuelle Einsiedelei gewissermaßen.

Die Grünen habe Jahre gebraucht, bis sich die linken Kadersekten bei ihnen durchgesetzt haben. Auch diese haben sich in dem Prozess angeglichen und aufgezehrt. Lest nur mal, wo die Grüne Prominenz herkommt. Wenn ein Trittin Mitglied des KB (Kommunistischer Bund) war, dann war er dort nicht im Gefällt-mir-Modus. Eine solche Kampfsekte duldete bei ihren Mitglieder nichts neben sich. Kaum zu glauben, was Pensionsansprüche bewirken können!

Den Piraten wird diese Unterwanderung nicht bevorstehen, obwohl sie - aus eigener Anschaung - die Altlinken als Einzelgänger und im kleinen Kampfverband magisch anziehen. Ein persönlicher Kontakt der Piraten untereinander ist möglich, aber in keiner Weise alternativlos. Für einen Wanderprediger mit Globalverpflichtung ist die Drehbühne aber eine Horrorvorstellung. Für die Piraten ist sie ein wunderbares Instrument der Selbstreinigung.