Donnerstag, 8. September 2011

Rezension: Der Blog Joe Konrath (1)

Seht euch dieses Bild an! Cool der Mann, nicht wahr!? Gelbe Sonnenbrille, Senior-Rockerbart, Grüblerstirn - alles da, was die Pose braucht.

Ihr täuscht euch: der Mann ist eine Art Bloggenie. Die Sonnenbrille ist das, was für Einstein die Frisur war. Wenn es mal einen Pulitzer Preis für Blogger geben wird, kommt er in die ganz enge Auswahl. Von allen US-Indies ist er sowieso die Number One.

Ein Blog ist nichts als ein gut sortierter Einbrecherschlüsselbund. Die Tür zur Milliardärsvilla ist die Aufmerksamkeit des Internets. Diese muss ich überwinden und dann drin bleiben, ohne vom Hausmeister als Einbrecher entdeckt zu werden. Dann kann ich heimisch werden. Am Ende steht die Hochzeit mit der Tochter des Hausbesitzers - na ja, oder das Öffnen des Safes.

Seht euch seine Seite an. Abgesehen von seinem Bild ist nichts Auffälliges dran. Eine ganz gewöhnliche Blogspot-Seite mit Standard-Layout. Für jemanden, der über 1 Millionen Klicks pro Jahr hat, fast schon zu bescheiden.

Joe Konrath ist einer der sehr erfolgreichen US-Indies. Er ist Autor. Und als solcher ist er eben ein besonders guter Blogger. Ich wage die These, dass die Blogs der Indies aus der Masse der Blogs weit herausragen. Schreiben ist ihr Ding, Internet ist ihr Medium, und - das Wichtigste ist - sie müssen sich hochkämpfen. Keinem Indie-Blogger ist etwas geschenkt worden.

Seht euch die Schriftform an. Zum Inhalt komme ich noch in Der Blog Joe Konrath (2). Der Mann schreibt ein Zwischending von Prosa und Lyrik. Letztere ist, was die Bedeutung angeht, vertikal, geht in die Deutungstiefe. Prosa dagegen breitet aus, ist horizontal angelegt, nähert sich aus Blickwinkeln.

Schreibt einen Post von ihm so kleingedruckt wie in vielen Posts der Wordpress-Blogs geschrieben wird, und ihr werdet auf nicht ein Zehntel der gängigen Länge kommen. Ich muss hier zugeben, dass ich, als ich den Blog von Petra van Cronenburg rezensiert habe, nicht einen Text von ihr zu mehr als 25% gelesen habe. Ich schaffe einfach nicht, einen längeren Sachtext Zeile für Zeile durchzulesen.

Joe Konrath hat das naturgegebene Feeling für die Aufmerksamkeit seines Lesers. Nehmt nur die Anfangssätze der Abschnitte und ihr habt ein Prosagedicht. Die Anfangssätze verbinden den Text von Anfang bis Ende. Daran lassen sich kurze Ausführungen anhängen, ohne dass der Leser 'von der Leine' geht. Jede Ausführung ist ein Bild, kein Gedanke.

Was den Blog vom Gedicht unterscheidet, ist die Einbeziehung des Lesers. Auch darin ist Konrath einmalig. Er führt durch den Blog, ist ein guter Kumpel, macht einen Spaß, erzählt ein bisschen, lässt mal einen Gedanken zu, stellt Fragen. Und doch vermittelt er immer, dass diese Begegnung für mich wichtig ist. Die Leichtigkeit, die Situationswechsel verpacken raffiniert die grundsätzliche Bedeutung der Themen. Hier ist er wieder, der Meistereinbrecher, der Tresorknacker.

Was fehlt, ist die Innigkeit. Besonders Autorinnen spielen in ihren Blogs auf der Tonleiter der Verletzbarkeit. Sie zeigen nicht nur ihr Zuhause, sondern geben Einblicke in ihre Gefühle. Empfindsamkeit geht Joe Konrath völlig ab. Vielleicht ist er doch kein Genie, sondern nur ein Virtuose. Vielleicht ist er ein Paganini und kein Chopin, ein Vivaldi und kein Bach.

Warten wir auf unser Genie. Dieses Genie wird eine Frau sein.