Mittwoch, 15. Juni 2011

II.8 Für wen schreiben wir?

Wer einmal mit Literaturagenten zu tun hatte, der weiß, dass sie diese Frage als erstes stellen. Die meisten Autoren werden ratlos sein. Dieselbe Frage an die Maler: Wo werden eure Bilder aufgehängt werden? Ratlosigkeit auch bei ihnen. Doch die Frage ist berechtigt. Wer etwas verkaufen will, muss eine Vorstellung haben, von wem das Geld kommen soll.

Wir Indie-Autoren stehen am Anfang. Für wen schreiben wir?

Jeder Schreiber ist sein erster Leser. Ich bin immer Schreiber und Leser in einem. Mag sein, dass Stephenie Meyer Multimillionärin ist und Schreibteams beschäftigt - am Anfang hat sie für Stephenie Meyer oder eine erinnerte Stephenie Meyer geschrieben. Ich als Indie-Autor beantworte die Frage also so: Mein Leser sieht so aus wie Ich. Punkt.

[Einschub] Es kann auch jemand sein, der mir sehr nahe steht - mein Kind, meine Schwester, meine Eltern. Wichtig ist, dass mir die Person sehr vertraut ist, dass sie mir gut vorstellbar ist. Das Ich, von dem ich hier spreche, ist also nicht wörtlich zu verstehen. [Einschub]

Ich schreibe also für mich. Ich bin mein Leser. Nächste Frage: Wie soll meine Hauptfigur sein? Welcher Person folgt mein Leser bereitwillig in dieses Buch? Mit welcher Person kann er sich identifizieren? Klare Antwort: Ich bin nicht nur Schreiber und Leser, sondern auch die Hauptfigur - anders geht es garnicht. Schaut euch um. Sehr oft ist ein Autor mit seinen Lesern und seiner Hauptfigur deckungsgleich. Wenn ihr die Möglichkeiten bedenkt, die uns die Phanatasie lässt, kann das kein Zufall sein. Offensichtlich liegt hier das Geheimnis des Erfolgs.

Ich als Indie-Autorin habe also eine klare Vorgabe. Ich schreibe nicht für Fremde - ich schreibe für Freundinnen. Auch meine Hauptfigur ist wie eine meiner Freundinnen. Das ist ein großer Vorteil. Ich bin meinen Freundinnen wirklich nah, ich verstehe sie, ich kann mich in sie hineinträumen. Das ist nichts besonderes?

Stellt euch vor, ihr seid ein Verlagsmanager mit einem Lebensstil, den ihr euch finanziell und gesundheitlich eigentlich nicht erlauben könnt: Bluthochdruck, Schulden, Leasingraten, Freundin, Ehefrau, Seilschaften, Konkurrenten. Falls dieser Mann Kinder in eurem Alter hat, dann wird er viel zu müde sein, ihnen abends die Frage zu stellen, was sie gerne lesen. Die Verlage sind riesige Tanker. Die Leserinnen sind kleine Heringe. Ein Tankerkapitän und Heringsschwärme wissen sehr wenig voneinander.

Ihr seht, der Verlagsmanager ist dem Herzinfarkt näher, ihr seid dem Bucherfolg näher. Eure Bedingungen sind ideal. Ihr müsst nur begreifen, was für einen Vorsprung ihr habt. Hört euch um in eurem Bekanntenkreis, was die Mädchen lesen, welche Filme sie sehen. Sind die Träume alle gleich, die Ängste, der Humor? Sehr ihr Veränderungen? Woran haben sie sich sattgelesen? Seht ihr haarfeine Risse? Gewöhnt euch an, neugierig zu sein. Stellt Fragen. Denkt an euren größten Konkurrenten als Indie-Autor - den Mann mit dem roten Kopf, der im Stau steht und sein Lenkrad verflucht.