Donnerstag, 16. Juni 2011

II.7 Label- und Supraserie

Ein Fanzine ist ein Magazin, das von Fans für Fans gemacht wird (Wikipedia). Es wird im Offsetdruck erstellt, im Abo verschickt oder sogar persönlich verteilt. Dabei wird ein Text zu einem Thema (meist Subkultur - Science Fiction, Fantasy etc.) angefangen, der von anderen kapitelweise - auch in Form eines Rollenspiels - fortgesetzt wird. Ihr seht, es gibt nichts, was es nicht schon gab.

Erst haben wir einen Nebenstrang aus der Haupthandlung herausgelöst (II.5). Dann haben wir eine bestehenden Text mit einem anderen Genre fusioniert (II.6). Das Fortschreiben der bestehenden Vorlage ist eine dritte Möglichkeit, einen bestehenden Text eigenständig umzuarbeiten.

Eigentlich ist diese Herangehensweise naheliegend, denn viele Autoren legen ihr Buch als Serie an. Jedenfalls wollen sie und ihr Verlagsmanager sich diese Möglichkeit nicht verbauen.

Es gilt zwei Formen einer Serie zu unterscheiden.

Einerseits kann ich die Hauptfiguren beibehalten und immer neue Episoden schreiben, die keinen inneren Zusammenhang haben. Ich entwickle zwei wiedererkennbare  Kommissare (oder einen Geisterjäger), die immer neue Fälle aufklären. Ich könnte auch jedes Mal die Namen ändern, es würde keinen Unterschied machen. Ich habe eigentlich ein Label entwickelt, keine Serie. Hier lohnt sich ein Einstieg für uns nicht, weil die Einzelfälle jeweils neu entwickelt oder woanders abgeschrieben werden.

Andererseits kann ich einen Handlungsbogen entwickeln, der schon den ersten Band überspannt. Jeder Band meiner Serie ist ein Kapitel in diesem Suprabuch. Die meisten Serien des Fantasy- oder Vampirgenres sind so angelegt. Die einzelnen Bände sind nicht Äste, die aus einem Baum wachsen, sondern Jahresringe.

Die großen Fanzine-Projekte wurden eingestellt, weil die Betreiber fürchten mussten wegen Copyrightverletzungen verklagt zu werden. Nun ja, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Macht euch also nicht allzuviel Mühe mit dem Schreiben.

Dennoch ist es wichtig, sich mit dieser Suprastruktur zu beschäftigen. Ihr seht vor allem, dass diese Suprastruktur unveränderbar ist - eine jahrhundertalte Fehde, eine Herrschaftsstruktur, ein dauerhaft vorgezeichnetes Schicksal. Die Suprastruktur liegt in dunkler Vergangenheit begründet und wird in ferner Zukunft - wenn die Absatzzahlen gegen Null gehen - ihr Ende finden. Dazwischen ist jede Anzahl von Bänden möglich.

Für die Anlage der Handlung hat das Folgen. Während ein Label-Kommissar auch Falschparkern nachstellen kann - je mehr Neuerung desto besser - besteht die Schwierigkeit einer Supraserie in den notwendigen Wiederholungen. Kein Band steht für sich allein. Der Leser muss jedes Mal umständlich in den vorhandenen größeren Zusammenhang eingeführt werden. Es gibt verschiedene Hilfsmittel. Das Personenverzeichnis am Anfang von Black Dagger Brotherhood führt in die Handlung ein. Oder die Subhandlung spiegelt die Suprahandlung wieder. Die Hauptfiguren können neue Nebenfiguren (und den Leser) einbeziehen. Die Vergangenheit wirkt fort. Ein besiegter Gegner hat eine neue Allianz geknüpft. Alles Hilfsmittel, die Handlung eines Bandes mit der Handlung aller Bände zu verknüpfen.

Die Hauptfigur in einer Supraserie ist von 'überrragender' Bedeutung. König Warth aus Black Dagger Brotherhood ist so ein Beispiel. Sie haben einen hohen Wiedererkennunsgwert - in diesem Fall seine zunehmende Erblindung. Sie bleiben sich über die Zeit gleich. Sie sind Strukturschnittstelle, d.h. alle beziehen sich auf sie. In diesem Fall beziehen sie sich auf ihn als König. Eigentlich sind diese Suprafiguren blass, jedenfalls eindimensional, weil sie sich nicht oder nur sehr kontrolliert verändern lassen. Sonst würde der Leser denken, er sei in der falschen Serie gelandet. Sie stehen immer am Anfang eines neuen Bandes. Dort gestalten sie die Verknüpfung zu den anderen Bänden umständlich aus, bis auch dem letzten Leser ein Lichtlein scheint.

Es gibt auch Suprafiguren, die nicht so langsam denken wie König Wrath. Der Hexer Geralt von  Sapkowski ist so ein Beispiel. Er zweifelt an sich, ist launenhaft, wirft seine Entscheidungen um, entzieht sich seiner Umgebung, denkt schnell und handelt vorschnell. Hier liegt der Wiedererkennungseffekt nicht in der Figur als Ganzes, sondern einem Wesenszug  - seiner alle Wege überdauernde Liebe zur Zauberin Yennefer.

In einer Serie unterscheiden sich die Figuren grundsätzlich. Es gibt die verzichtbaren Figuren und die unverzichtbaren Figuren. Erstere sorgen für die Farbigkeit. Letztere zeichnen die schwarz-weißen Konturen. In Serien mangelt es in großen Teilen an Steigerung und Spannung, weil sich Ruhezonen um die Suprafiguren bilden. Diese sind ihrem Wesen nach unsterblich. Von daher steht das Ergebnis jeder Auseinandersetzung bereits fest. Der Autor muss unsere Anteilnahme und Neugier auf Nebenschauplätzen und mit Nebenfiguren gewinnen.

Schreibt einfach das erste Kapitel eines möglichen nächsten Bandes eurer Lieblingsserie. Versucht den Anschluss möglichst elegant zu finden. Im ersten Kapitel wird nie die neue Handlung angekündigt. Es ist mehr eine Art Klassentreffen - Ego im Aufgalopp, Rückblicke, Wiedererkennen und Rufe nach dem Kellner.