Mittwoch, 1. Juni 2011

I.8 - Selfpublishing wird Volkssport

Wer viel liest, hat sicherlich schon einmal daran gedacht, ein eigenes Werk zu schreiben. Hat er  solche Wünsche öffentlich gemacht hat, hielt ihn seine Umgebung schnell für hirnkrank. Das Schreiben war im Eigentum der Verlage. Wie wäre dieser Olymp jemals erreichbar gewesen? Doch nun ist ein kleiner, mutiger Schritt nötig. Vielleicht wird ein Selfmade-Schriftsteller in Deutschland immer noch merkwürdig angesehen - in Amerika ist Selfpublishing bereits Volkssport.

Eigentlich ist das Bloggen eine Art von Selfpublishing. Ein Blog lässt - anders als ein Epub - die Einbindung von Bildern zu. Ein Blog wird vorzugsweise am PC gelesen, ein Epub oft auf kleineren monochromen Ausgabegeräten. Bloggen erlaubt Themensprünge, kann in die Breite gehen, während Selfpublishing, thematisch eingegrenzt, in die Länge arbeitet. Mein Blog-Buchprojekt ist ein Beispiel dafür, wie aus dem Bloggen das Selfpublishing werden kann. Es gibt etwa 1,5 Millionen Blogger in Deutschland und vielleicht 100 Selfpublisher. Letztere Zahl wird explodieren - das ist keine Hellseherei!

Doch wer werden diese Selfpublisher sein?

Die neuen digitalen Schriftsteller werden sicherlich aus den Reihen der Bücherfans kommen. Schreiben ist eigentlich nicht schwer. Phantasie, vor allem Zeit und Ruhe brauche ich - mehr nicht. Nicht umsonst ist Amanda Hocking - die bislang erfolgreichste Indie-Autorin - eine Altenpflegerin. Als OP-Schwester wäre sie kaum zum Schreiben gekommen!

Das Epublishing werden viele Autoren nutzen, die sich an ein spezielles Publikum wenden, das nicht mehr als ein paar Dutzend Interessierte umfasst. Verlage haben immer Auflage machen wollen. Dabei blieb viel liegen: das Selfpublishing, seltene Hunderassen, Kuriossportarten, Vereine und Vereinigungen. Gerade im Randbereich der Randthemen sind ja auch die Blogs sehr stark vertreten.

Es gibt antiquarische Schätze aus dem frühen Familienerbe, die sich heben lassen. Die Leute früher konnten richtig gut schreiben: lange Briefe, Tagebücher, Lebenserinnerungen. Vieles ist mit den alten Fotos aufgehoben worden. Was für unsere Angehörigen Alltag war, lässt uns heute staunen. Ich habe eine Ur³-Tante, die beschreibt, wie elektrisches Licht zu ihnen ins Haus kommt. Zumindest für die Familie ist das interessant. Für's Selfpublishing mit einem Foto als Cover reicht das allemal - Speicherplatz hat Amazon genug.

Es wird einen neuen Berufszweig geben - den professionellen Schreiber für Senioren. Jeder in Deutschland wird sein Leben und seine Ansichten öffentlich machen können. Die Alten, die den digitalen Medien fern sind, werden einen Mittler finden, der ihr Mitteilungsbedürfnis bedient. Geld genug haben die meisten, nur wenig Zuhörer. Jedem Autobiographen wird so das Gefühl gegeben werden: Ich stelle mich dem Internet, den jungen Leuten vor. Neben dem Hörstudio und dem Sanitätshaus werden wir Firmenschilder lesen wie: >Meine Ansichten - Die Zeit ist da!<, >Ihr Leben - Wir hören zu!< oder >Der Biograph - Sie sind es wert!<.

Selfpublishing wird Volkssport. Es wird viel Absonderliches, Abwegiges, Schrulliges, Wahnhaftes dabei sein. Warum nicht? Viele von uns lesen nicht die Artikel von Spiegel Online, sondern die Kommentare. Sie werden reichlich Training für ihre Lachmuskeln haben. Es wird aber auch neue Bestseller-Autoren jedglicher Gattung geben - die augenblickliche Überheblichkeit der Verlage wird nicht lange vorhalten.