Montag, 13. Juni 2011

II.3 Innenschau und Außenbühne

Das Internet macht jede Person, die sich darin bewegt, öffentlich. Keine Person verbirgt sich. Wer sich verbergen will, kommt nicht auf die Bühne. Mit allem, was wir sichtbar sind, treten wir auf. Das Internet selbst ist eine hell ausgeleuchtete Bühne. Ich gehe in meiner Rolle auf. Lampenfieber haben wir alle, aber das geht vorbei. Ich horche nicht nach innen, sondern nach außen. Wir sind Schauspieler. Wir stehen alle unter Strom. Trenne niemals die Verbindung.

Selbstzweifel und Ängstlichkeit. Es gibt sie im Real Life. Dort geht es beschattet zu und beschützt. Vorsicht und Umsicht sind wertvolle Eigenschaften, weil Gefahren und Wagnisse real sind. Die Innenschau dient der Verarbeitung von Erlebtem und der Erholung. Ich verarbeite Dinge, überdenke meine Entscheidungen in mir selbst. Der Mensch stellt sich selbst in Frage. So entwickeln wir uns weiter. Ich ziehe mich in den Halbdunkel zurück, aus der Gemeinschaft zurück, um mit mir allein die Dinge zu regeln, die mich selbst angehen. Ich verarbeite und finde meine Ruhe, ziehe mich in meine Burg zurück. Ich bin kompliziert, langsam, treu, wunderlich.

Wie anders die Person von mir, die ständig unter Strom steht: Mein Ich-mich-mir24.de. Von allen Seiten belagert, habe ich nirgendwohin eine Rückzugsmöglichkeit. Deshalb mache ich es mir und anderen nicht kompliziert. Ich will mich zurechtfinde, weil ich schnell entscheiden muss. Dazu brauche ich eine flache Persönlichkeit. Schnelle Beine brauche ich, was nützt mir der Raum hinter der Grübelstirn. Ich bin spontan, sprunghaft. Wie schnell sind Namen vergessen. Seht mich auf der Bühne, wie ich mich bewege. Ich verstehe nicht mehr von mir als ihr.

Habt ihr schon bemerkt, dass die Figuren in einem Buch immer auf derselben Wellenlänge funken? Denkt ihr, es hat mit dem Autoren zu tun, der sie sich erfindet? Nein, es hat mit der Technik des Schreibens zu tun. Wenn alle Personen sich im selben Tempo bewegen, kann ich gut und viele unterbringen. Wenn einer sich schnell bewegt, der anderen langsam, ein dritter herumsteht - was ist dann? Schnell tritt einer dem anderen auf die Füße oder stolpert über den, der bereits gestolpert ist. Die Personen in einem Buch unterscheiden sich nur äußerlich, nach Namen, Geschlecht und Alter. Meist aber sind sie im Gleichschritt und singen falsch dieselben Lieder.

Stellt euch erst vor, ihr sei ein Autor, der sich vorstellt, er sei kein Autor. Lasst den Figuren ihre Freiheit! Können Sie nicht selbst über sich bestimmen? Am besten, ihr haltet euch völlig raus. Schafft ihr das!? Stellt euch nun zwei Türen vor. Auf der einen steht Ebook, darunter -Internet-, auf der anderen Papierbuch, darunter -Real Life-. Lasst die Gestalteten selbst entscheiden. Lasst sie selbst entscheiden, durch welche Tür sie einschreiten. Was denkt ihr, wer tritt in welche Tür ein?

Alle, die sich vorgedrängt haben, versuchen sich durch die Ebook-Tür zu quteschen, schieben von hinten, rufen nach vorne ihre Freunde, springen hoch, um alles zu sehen. Ein Wehrmachtssoldat grüßt militärisch vor Papierbuch-Tür. Ein Riese schlägt sich den Kopf auf. Zwei Vampire umflattern seine Schultern. Jemand schießt Löcher in den Türrahmen. Überall regnen Visitenkarten herab.

Von außen muss die Ebook-Tür zugeschoben werden. Zwei Zwergen mit rostigen Bärten arbeiten schwitzend, blockieren endlich, zwei quadrig schartigen Steinen gleich. Und die andere Tür? Stille davor. Der Lärm der Ebooker dringt nach draußen, bewegt den Teppich der weiß-bunten Karten. Sonst ist es still. Die Figuren, die eingelassen werden sollten, sind verschwunden. Spaltbreit um Spaltbreit öffnet sich die Tür von innen. Eine durch die Nase geführte Stimme: >Dort niemand?< Ein Hauch von Haarwasser. Die Tür fällt klicksend ins Schloss zurück, als der Autor die glotzenden Zwerge erblickt. Erschreckt fliegen kleine Fledermäuse aus den roten Bärten auf. Über den Zwergenzwillingsköpfen hängt nebelig der verdampfende Schweiß.