Freitag, 9. September 2011

Rezension: Der Blog Joe Konrath (2)

Sie sagen, ein Blog ist ein öffentlich gemachtes Tagebuch. Ein Logbuch ohne Schiff. Eine Chronik des uns Gegenwärtigen. Eine Skizze des uns Zukünftigen.

Sie, die Kinder des Internets, hätten das Bloggen erfunden, sagen sie. Gefunden haben sie einen neuen Namen. Gekleidet darin eine urvorzeitliche Gabe.

Je weiter wir zurückblicken, desto näher kommen wir ihr. Auf alten Tonscherben, in goldenem Grabbeigaben, auf den verwitterten Wänden uralter Kultstätten, in heidnischen Mythen, in Sagen und Märchen wurde bereits gebloggt.

Die Stimmen, die ich höre. Die Stimmen, die ich nachspreche. Die Stimmen der Götter, die sich ein Sprachrohr suchen. In der Sprache der Auserwählten. In der Sprache der Gezeichneten. An das Fieberbett setzen sich die Götter. Einem Bettelstab folgen die Helden. Und erzählen beiläufig, was geschehen wird.

Jeder Gedanke ist eine Stimme aus der Tiefe des Unbewussten. Jede Angst ist von allen Menschen zu allen Zeiten gefühlt. Es sinken die Reste des Alltags auf den schwarzen Grunde des Unbewussten. Wo sie auftauchen, sind sie verwandelt. Kriegsheimkehrer von den Schlachtfeldern der heidnischen Götter, Haftenlassene aus den Kerkern des Zukunft.

Stimmen ohne Körper. Stimmen ohne Hall. Sie singen, aber es ist kein Lied. Sie fassen nach unseren Worte mit den bleichgefrorenen Fingern des Winters. Sie beten einen heidnischen Reim. Sie stehen an allen Gräbern. An einem Tisch aus Ebenholz sitzen sie mit unseren Träumen.  Mit goldenen Bechern stoßen sie auf unser Schicksal an.

Kassandra hat gesprochen. Aber Kassandra ist verrückt.

Das weiß jeder. Sie ist allein mit ihren  Stimmen. Sie ist eine Kranke der Nerven. Eine Schlaflose, die in unsere Träume eindringen will.  Eine Hysterikerin, die ihre Schönheit gab für eine sinnleere Gabe. Eine Gottverlassene, der niemand Glauben schenken darf. Niemals wird sich erfüllen, was diese Klagefrau spricht!

Kassandra hat gesprochen. Aber Kassandra ist verrückt.