Freitag, 17. Juni 2011

II.11 Die schräge Linie

Es hat einen Grund, dass Peter Handke sein Schreiben stilisiert. Er will zeigen, dass sein Buch sich von anderen abhebt. Er will damit schlicht Leseinteresse und letztlich Kaufinteresse wecken.

Unser Stil ist ein VPN-Stil, ein anonymer Stil. Der VPN-Server vergibt allen durch seinen Tunnel Reisenden dieselbe IP-Kennung. Schön und gut, aber müssen wir nicht auch Leseinteresse wecken? Wir wollen doch gelesen werden? Was unterscheidet uns darin von Peter Handke?

Wenn Peter Handke sich von den wenigen Verlagsschriftstellern unterscheiden muss, wieviel mehr müssen wir uns unter Millionen Usern hervorheben. Dieser Blog ist ein Beispiel: Ich habe 1,5 Millionen Bloggerkollegen - nur in Deutschland! Im Augenblick gibt es in Deutschland vielleicht 20 Indi-Autoren. Ende 2011 könnt ihr zwei Nullen dranhängen, ein halbes Jahr später eine weitere. Die durchlässige Grenze zwischen Bloggen und Self-Publishing wird verschwinden. Bald werden 1,5 Millionen Blogger kleinere Ebook-Projekte laufen haben. Und dann?

Schlussfolgerung: Ich muss mich als Autor abheben. Das ist genauso wichtig wie das Schreiben selbst. Klingt einfach. Ist es aber nicht. Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein, nicht mehr nur eine. Nehmen wir an, ich habe etwas geschrieben, was richtig gelungen ist. Es ist wertlos, wenn es sich nicht abhebt. Ich kann es ebensogut löschen. Ihr seht, einfacher wird das Schreiben durch zwei Bedingungen nicht.

Ich kann nicht mehr einfach losschreiben, die Worte fließen lassen. Wirklich schade, ab es geht nicht, weil 1,5 Millionen Self-Publisher dasselbe in die Tasten tippen. Nur 'Verrückte' schreiben von sich aus anders. Der Normale schreibt (1,5-millionenfach) normal. Der 'Verrückte' schreibt einzigartig, aber verworren. Wir Normalen können keinen Sinn darin finden. In den Zwischenraum von normal und verrückt müssen wir  gelangen - abwegig zwar, dennoch verständlich.

Ich muss mich daran gewöhnen, Vorentwürfe zu machen. Ich muss zu dem Entwurf kommen, der 'verrückt' ist, schräg zu den anderen steht. Ihr werdet sehen, es geht. Den ersten Entwurf sortiere ich grundsätzlich aus. Da wir im Alltag daran gewöhnt sind, diesen vernünftigen Entwurf zu übernehmen, sehe ich erstmal ein grellgelbes auf den Bauch gekipptes Fragezeichen, dem langsam die Luft entweicht. Und plötzlich aus dem Nichts kommt der zweite Entwurf. Nun gilt es aufgepasst. Meist folgt sofort ein dritter. Haltet sie fest. Dafür habt ihr zwei Gehirnhälften (glaube ich). Diese 'abartigen' Ideen sind sehr flüchtig. Sind wohl nicht gewöhnt, den artigen Ideen vorgezogen zu werden. Habt ihr sie noch? Seht sie euch an. Einer von beiden ist die schräge Idee, auf die ihr gewartet habt.