Donnerstag, 16. Juni 2011

II.10 Sprach- und Bildliteratur

Doch kam mit dem nächsten Tag noch ein letztes Mal die Spätherbstwärme, Sonne ohne Wind. (Peter Handke)

Schön, nicht wahr? Die Sprache singt mehr, als dass sie ausdrückt. Durch den Sprachstil werden die aufgeschriebenen Bilder zu gesungenen Bildern. Peter Handke, der Wortkomponist. Klangverzauberte Bilder. Es ist alles sein eigen. (Upps, ist wohl ansteckend das!) Also, jetzt mal im Ernst. Die Sprache ist wunderschön, will bewundert werden. Tun wir ihr den Gefallen. Dann sollte es aber auch gut sein. Dies ist der Stil der Vor-Internetzeit. Wir tragen ja auch keine Leserhosen mehr (wohlgemerkt: kurze).

Ein Sprachstil kann verschiedene Funktionen haben. Denkt an euren Deutschlehrer, der euch durch seine gepflegte Sprache zeigen will, ich bin der Deutschlehrer, ihr seid die Deutschschüler. Der Sprachstil schafft einen Abstand zwischen ihm und euch. Nicht anders bei Peter Handke. Eigentlich ist sein klingender Sprachstil überheblich, nicht wenig elitär. Er zieht einen Graben zwischen sich und dem Leser - auch ein Orchestergraben ist ein Graben. Er zieht aber auch einen Graben zwischen sich und dem Inhalt. Er sagt uns: Was ich sage, ist nicht wichtig. Dass ich, Peter Handke, es sage, ist wichtig.

Abstand schaffenden Sprachstile gibt es viele, auf jeder Ebene (in Deutschland). Ein Rechtsanwalt redet mit seinem Mandanten. Der Pastor mit seinem Gläubigen. Der Arzt mit seinem Patienten. Der Politiker mit dem Wähler. Der Sprachstil dient der Herstellung und Wahrung des Abstandes zwischen Wortgeber und Wortnehmer. Der Inhalt des Gesagten muss sich unterordnen, wird entstellt, oft unkenntlich.

Der Sprachstil des Internets dagegen stellt sich völlig in den Dienst des Gesagten. Nicht klangprahlerisch kommt er daher, sondern geräuschlos. Der Sprachstil des Internets ist lichtscheu, geisterhaft. Er passt zu den Usern, die durch die VPN-Tunnel reisen, um unsichtbar zu werden.

Im Idealfall unterscheidet sich euer Stil also nicht von dem der andern Indie-Autoren. Eure Leser wären ratlos, wenn sie einem Egotripper wie Peter Handke begegnen würden. Seien wir ehrlich erleichtert. Ist der Mann nicht ein Sprachgenie!? Neidisch könnte man werden!