J. K. Rowling vorstellbar als Bookrix-Autorin? Und umgekehrt? Eine Bookrix-Autorin wird zur J. K. Rowling?
Beides gilt. Lest euch den Anfang von Harry Potter Band 1 durch. Die ersten knapp 100 Seiten unterscheiden sich komplett vom Rest.
Harry Potter beginnt als Oliver Twist. In der typischen Manier eines englischen Jugendromans als eine Art Aschenputtel. Ungeliebt. Für jede Kleinigkeit bestraft. Nur die Küchenreste sind gut genug für ihn. Als hätte Charles Dickens ihr die Feder geführt, beschreibt J. K. Rowling die Gefühlskälte der Ersatzfamilie, die Niedertracht des Halbbruders. Das Leben zeigt ihm unmissverständlich und umweglos, dass es nicht gedenkt, ihm eine Chance einzuräumen.
Dann - die Textstelle lässt sich fast markieren - häutet sich Harry Potter. Aus Oliver Twist wird Justin Bieber. Der Lektor hat einen Strich unter J. K. Rowlings Manuskript gezogen und sein Team von Lohnschreibern zusammengerufen. Harry Potter als Oliver Twist mag gut genug als Appetithappen sein, als Träger einer vielversprechenden Kommerzstrategie eignet er sich nicht.
Der Verlag verleibt sich den einzelnen Autor ein. Er wird 'passend' gemacht. Sieben Harry-Potter-Bände abzüglich 100 Seiten hat der Verlag verfasst. Harry Potter hat das Lesen bei den Glotzenkindern wieder populär gemacht. Harry Potter ist mittlerweile ein Markenname wie Starbucks und Adidas. Der englische Bloomsbury Verlag schrieb Harry Potter, niemand sonst. Es ist sein Erfolg. J. K. Rowling ist bloß das Gesicht dieses Buches.
Die 'Autorin' J. K. Rowling hat nicht mehr als 100 Seiten geschrieben. Keine Frage, der Anfang von Harry Potter ist richtig gut. Aber sie lehnt sich eng an ihr Vorbild Charles Dickens an. Sind die Hybridtexte der Indie-Autoren in den Nebeln von Herr der Ringe oder im Landebereich der Bis(s)vampire nicht vergleichbarer Qualität?
Die Indie-Texte, die ich gelesen habe, hatten fraglos einige strukturelle Schwächen. Sie waren uneben. Die Gewichtung stimmte nicht. Das Tempo hatte keine Rythmus. Die Personen kamen sich zu nah. Aber alle - anfangs habe ich das nicht bemerkt - blieben im Gedächtnis haften. Vor dem Einschlafen noch waren sie gegenwärtig.
Der Grund liegt für mich darin, dass sie nicht die kommerzielle Glättung erfahren haben. Wir haben vergessen, wie gleich unsere Warenwelt die Dinge macht. Was allen Konsumenten 'schmecken' soll, muss geschmacklos sein. Anders kann das nicht funktionieren.
Selbstgeschriebene Texte passen genausowenig in diese Konsumwelt wie selbstgebackenes Brot. Sie gehören den Menschen, die sich nicht als Konsumenten begreifen.
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