Montag, 17. Oktober 2011

Frankfurt 2011 - eine Retromesse

Der Platz vor der EZB besetzt von Lautsprecherboxen, von Zelten, Fahnen, Spruchbändern, Gulschkanonen und Kamerawagen. Die Demonstrationstechnik ist im Frankfurter Bankenviertel aufgefahren. Routiniert bezieht sie das Lager für die Bilder in der Tagesschau. Das riesige Euro-Symbol, die aufgehügelte Rasenfläche, sogar das Wetter wirkt wie herbeigeschafft.

Doch die Demonstranten wirken ratlos. Sie belagern ein Symbol und wissen nicht, was sie bewirken wollen. Wieder mal wird der Sozialismus ausgerufen. Die Zinsen sollen abgeschafft, die Banker verjagt werden. So weit, so gut. Aber was genau ist das Wesen der Finanzkrise? Welche Spieler stehen auf welcher Seite? Was ist die Antwort? Wie ernst ist die Situation eigentlich? Die Veranstalter sind ratlos und drehen die Musik auf.

Nein, ich bin nicht im falschen Beitrag gelandet. Was hat das alles mit den Buchpiraten und der Buchmesse zu tun? Sehr viel, finde ich. Die Buchmesse vermittelt den Eindruck, bereits ihre eigene Retroveranstaltung zu sein. In den Gesichtern ist die Krise des Buchhandels sichtbar als Dunkelahnung. Dennoch habe ich in einem U-Bahnwagen in London mehr eReader gesehen als auf der gesamten Buchmesse zusammen. Das Ding, um das es geht, hatte Messeverbot.

Im Audi-Pavillon vor der Buchmesse ist die Technik bereits Fakt, werden die Grenzen des Erzählens eingerissen zum Computerspiel und zum Geruchbuch. In der Buchbranche selbst - habe ich mir versichern lassen - hat noch kein Buchvertreter an der Grenze von 40 Jahren jemals ein Buch digital gelesen. In diese dunkle Ecke des Ladengeschehens werden die Lehrlinge geschickt.

Die Entscheider sind alle dagegen. Ihre Welt ist bedroht von etwas, dass sie nicht verstehen. Sie haben das Gefühl in einen Abgrund zu blicken und wollen nun keinen weiteren Schritt machen. Nachdem die meisten Einzelbuchhändler im Abgrund verschwunden sind, stehen nun die Großketten davor und blicken hinunter. Deren zahlreiche Angestellte blicken auf ihre Manager, die von hinten drängen.

Genau wie die Finanzkrise ist auch die Digitaliserung noch bei niemandem unmittelbar spürbar. Die Verkäufe an eBooks sind nahe Null. Doch was bedeutet diese Null? Bedeutet es, dass niemand digital liest, oder beweist es, dass niemand zu den Buchhändlern geht, um digital zu lesen? Wir stehen vor einer Revolution vergleichbar nur der Erfindung des Buchdrucks, höre ich überall auf der Buchmesse sagen.

Überall zur Gewissheit erhobene Ahnungen. Die Gänge entlang sich versichernde Ausweglosigkeit. Wir sind an dem Punkt, an dem auch der Großbuchhändler begreift, dass sein Geschäft bald zur Weitervermietung steht. Es sind die Haifische der Branche, die jetzt den eigenen Trauermarsch anstimmen. Es ist ein Vorgriff auf ihr Sterben, aber ihre Trauer ist echt.